Im zweiten Teil der Atem-Serie geht es um die Bedeutung der Atmung in der Schwangerschaft und zur Vorbereitung auf die Geburt. Denn während der Schwangerschaft verändert sich dein Körper innerlich und äußerlich sehr stark. Davon ist auch deine Atmung betroffen. Viele Frauen haben in der Schwangerschaft mit Kurzatmigkeit zu tun oder haben das Gefühl, dass die Atmung im Verlauf der Schwangerschaft mühsamer wird. Das liegt daran, dass die wachsende Gebärmutter von unten gegen das Zwerchfell drückt und dessen Bewegungsspielraum zunehmend einschränkt. Aufgrund dieser Veränderungen und Einschränkungen setzen sich viele Frauen während der Schwangerschaft zum ersten Mal bewusst mit ihrer Atmung auseinander. Dieses Bewusstsein für die Atmung ist oft durch den intensiven Alltag verloren gegangen, weil die Atmung ja ohnehin „nebenbei“ funktioniert.
In der Schwangerschaft läuft die Atmung aber oft nicht mehr unauffällig im Hintergrund, sondern fordert achtsame Aufmerksamkeit. Eine bewusste Atmung hat jedoch viele positive Effekte sowohl für die Schwangerschaft selbst, als auch für die bevorstehende Geburt. Deshalb kann es für Schwangere sehr sinnvoll und hilfreich sein, sich schon in der Schwangerschaft mit der Atmung zu beschäftigen und regelmäßig Atemübungen zu praktizieren (z.B. in einem Yogakurs für Schwangere), um dadurch die Schwangerschaft angenehmer zu machen und sich körperlich und mental auf die Geburt einzustimmen:
Die Atmung in der Schwangerschaft
- Befindlichkeiten und Beschwerden lindern
Eine bewusste Atmung kann dir dabei helfen, bestimmte Schwangerschaftsbefindlichkeiten zu lindern. Dazu gehören z.B. Verdauungsbeschwerden. Die Verdauung wird durch die weichmachenden Hormone und die veränderte Lage der Organe im Bauchraum häufig etwas träge. Eine tiefe, ruhige, regelmäßige Atmung kann dabei helfen, die Organe sanft zu massieren und anzuregen.
- Eine emotionale Verbindung zum Kind aufbauen
In der Schwangerschaft atmest du nicht nur für dich selber, sondern du versorgst auch dein Kind mit Sauerstoff. Somit besteht über die Atmung eine „funktionale“ Verbindung zu deinem Kind. Diese Verbindung kannst du nutzen, um mit Hilfe von Atemübungen auch eine emotionale Verbindung zu deinem Kind herzustellen. Gerade in der Frühschwangerschaft ist die Vorstellung, dass sie ein Kind in sich tragen, für viele Frauen eher abstrakt. Der Bauch ist noch nicht sichtbar, sie spüren das Kind noch nicht. Über die Atmung und Atemübungen (z.B. Atemmeditationen) kann es dir leichter fallen, einen Zugang zu deinem Kind zu schaffen, eine liebevolle Verbindung herzustellen und dir der Schwangerschaft bewusst zu werden.
- Gradmesser für Intensität
Im Yoga gilt die Atmung als wichtiger Gradmesser für die Intensität der Übungen. Will heißen: wenn du merkst, dass dein Atem schnell und hektisch wird oder dass du die Luft anhältst, dann ist die Intensität der Übungen wahrscheinlich zu hoch und du solltest ein wenig zurückfahren. Das trifft auch auf deine Schwangerschaft zu: deine Atmung kann dir helfen zu spüren, wenn du dich im Yoga wie im Alltag zu sehr forderst, so dass du dir eine bewusste Pause und etwas Ruhe gönnen kannst.
- Die Atemmuskulatur kräftigen
Regelmäßige Atemübungen kräftigen zudem die Atemmuskulatur (z.B. das Zwerchfell und die Muskeln zwischen den Rippen) und können dabei helfen, dass die Atmung sich weniger mühsam anfühlt.
- Stress reduzieren
Die Schwangerschaft ist eine sehr intensive Zeit für jede Frau und sie ist mit vielen Veränderungen verbunden. Veränderungen erzeugen häufig Unsicherheit und Stress. Da die Atmung sehr eng mit dem Nervensystem verbunden ist (mehr dazu in diesem Artikel), kannst du über die Atmung auf das Nervensystem einwirken und Stress reduzieren. Das ist in der Schwangerschaft hilfreich und wichtig, sowohl für dich als werdende Mutter, als auch für dein Baby. Denn dein Baby erlebt deinen Stress mit. Das bedeutet natürlich nicht, dass du in der Schwangerschaft niemals gestresst sein darfst. Abgesehen davon, dass das nicht möglich ist, ist es wahrscheinlich auch gar nicht sinnvoll, denn die Stressreaktion ist ja wichtig für unser Überleben (mehr dazu in diesem Artikel). Aber dauerhafter, chronischer Stress ist für euch beide nicht von Vorteil.
Deshalb ist es wichtig, Techniken zu kennen, mit deren Hilfe du Stress abbauen kannst. Das ist über bestimmte Atemübungen möglich und du lernst, bewusst und gezielt mit deinem Stress umzugehen. Dadurch lernt auch dein Kind die beruhigenden Effekte der Atmung bereits im Mutterleib kennen. Besonders gut geeignet für den Stressabbau ist eine tiefe, lange und langsame Ausatmung, bei der du etwa doppelt so lange ausatmest, wie du einatmest.
Die Atmung zur Vorbereitung auf die Geburt
- Stress reduzieren
Stress zu reduzieren, hilft dir aber nicht nur während der Schwangerschaft selbst, sondern ist auch wichtig als Vorbereitung auf die Geburt und während der Geburt selbst. Wenn du bereits in der Schwangerschaft die entspannende Wirkung der Atmung erfahren hast, dann ist sie dir unter der Geburt auch viel leichter zugänglich und du kannst in intensiven Momenten bewusst deine Atmung nutzen, um dich zu beruhigen. Das ist wichtig, denn unter der Geburt kann zu viel Stress dafür sorgen, dass die Geburt ins Stocken gerät (mehr Informationen im nächsten Artikel). Wenn du in der Schwangerschaft als Vorbereitung auf die Geburt gelernt hast, dich mit Hilfe deiner Atmung zu beruhigen, dann kannst du dadurch die Geburt unterstützen.
- Vertrauen aufbauen
Bereits in der Schwangerschaft helfen dir die Atemübungen dabei, dich selber und deinen Körper besser kennenzulernen und die Signale deines Körpers zu verstehen und bereiten dich so auf die Geburt vor. Du baust Vertrauen auf in deine eigene innere Kraft und in deine Fähigkeit, ein Kind zu gebären. Du bist vertraut mit den Signalen deines Körpers und du bist in der Lage, darauf zu reagieren.
- Die öffnende, lösende Wirkung der Ausatmung erfahren
Mit Hilfe deiner Atmung – insbesondere der Ausatmung – kannst du deinen Körper auf die Geburt vorbereiten und ihn während der Geburt unterstützen, sich zu öffnen und loszulassen. Wenn du diese lösende Wirkung der Atmung im Schwangeren Yoga bereits erfahren und geübt hast, dann ist sie unter der Geburt leichter zugänglich. Du brauchst keine zusätzliche Energie oder Konzentration dafür aufzuwenden und kannst deine Kraft in den Geburtsprozess fließen lassen.
- Die Atmung als Anker und Fokuspunkt
Ein Kind zur Welt zu bringen ist eine körperlich, mental und emotional intensive Erfahrung. Während dieses Prozesses kann die Atmung ein wichtiger Anker und Fokuspunkt sein. In Momenten, die fordernd sind, kannst du dich auf deine vertraute Atmung konzentrieren. Der Fokus auf die Atmung kann dir Kraft, Ruhe, Vertrauen und ein Gefühl von Halt und Orientierung geben. Wenn du bereits im Schwangeren Yoga erfahren hast, wie es sich anfühlt, in intensiven Posen den Fokus bei der Atmung zu halten, dann kann es dir auch während der Geburt leichter fallen, konzentriert bei der Atmung zu bleiben und Kraft aus ihr zu schöpfen.
- Üben, sich auf die Geburt einzulassen
Natürlich ist eine Spontangeburt ein Prozess, auf den man sich nicht im eigentlichen Sinne „vorbereiten“ kann. Man kann nicht aus dem Willen heraus gebären oder den Ablauf im Detail planen und steuern. Eine Geburt ist instinktiv und intuitiv, wie deine Atmung. Wenn du mit deiner Atmung verbunden und vertraut bist, dann kann es dir leichter fallen, dich auf die „Unplanbarkeit“ der Geburt einzulassen.
Geeignete Atemübungen und -techniken für die Schwangerschaft und die Geburtsvorbereitung
Es gibt verschiedene Atemübungen und Techniken, die du während der Schwangerschaft und als Vorbereitung auf die Geburt üben kannst. Während meinen beiden Schwangerschaften fand ich besonders die tiefe Bauchatmung schön, denn ich hatte das Gefühl, dass ich mich darüber emotional und energetisch mit meinen Kindern verbinden konnte. Als Vorbereitung auf die Geburt fand ich die verlängerte Ausatmung und das Tönen besonders hilfreich, da ich diese beiden Atmungen später auch im Kreissaal anwenden konnte (zumindest bei der zweiten Geburt…). Im Folgenden möchte ich dir ein Paar der Übungen vorstellen:
Die verlängerte Ausatmung:
Bei dieser Übung liegt der Fokus darauf, länger auszuatmen als einzuatmen. Du kannst z.B. für 4 Zählzeiten einatmen, also im Kopf während der Einatmung bis 4 mitzählen. Wenn du ausatmest, verlängerst und verfeinerst du die Ausatmung auf 8 Zählzeiten (als ob du ganz viele Kerzen auf einem Geburtstagskuchen auspusten möchtest). Somit atmest du etwa doppelt so lang aus wie ein.
Die verlängerte Ausatmung kann dir helfen, Stress abzubauen und dein Nervensystem zu beruhigen (vgl. dazu diesen Artikel). Das macht bereits in der Schwangerschaft Sinn. Aber auch im Hinblick auf die Geburt. Denn die lange, langsame Ausatmung beruhigt nicht nur das Nervensystem und wirkt so auf Stress- und „Geburts-“hormone, sie unterstützt auch das Öffnen, Entspannen und Loslassen des Beckenbodens während der Geburt. Diese Atemtechnik kannst du also von der Yogamatte mitnehmen in den Kreisssaal. Damit du mit ihr vertraut und auf die Geburt „vorbereitet“ bist, ist es sinnvoll, sie schon in der Schwangerschaft zu üben und die positiven Effekte selber zu erfahren. Eine Anleitung für die verlängerte Ausatmung findest du in dem Video am Ende des Artikels.
Die beruhigende Mondatmung:
Die beruhigende Mondatmung habe ich bereits in einem vorherigen Artikel (hier) beschrieben. Sie hat eine angenehme, beruhigende Wirkung für das Nervensystem und soll die „weibliche“ Energie erhöhen. Damit ist sie gut geeignet für die Schwangerschaft. Sie kann dich auch ein stückweit auf die Geburt vorbereiten, indem sie für Entspannung und innere Ruhe sorgt und dir Vertrauen in deine weibliche Urkraft gibt. Ob du diese Technik auch unter der Geburt machen möchtest, musst du am besten selber ausprobieren. Durch das wechselseitige Verschließen der Nasenlöcher ist sie etwas „aufwendiger“ als z.B. die verlängerte Ausatmung. Eventuell fühlt sich das in intensiven, fordernden Geburtsphasen nicht stimmig an. Aber vielleicht hilft die beruhigende Mondatmung dir, dich in ruhigeren Phasen zu fokussieren und Kraft zu schöpfen. Achte auf jeden Fall während der Geburt darauf so zu atmen, dass du dich wohl fühlst.
Die tiefe Bauchatmung:
Auch die tiefe Bauchatmung habe ich bereits in diesem Artikel (hier) beschrieben. Die beruhigende Wirkung dieser Atemtechnik unterstützt dein Nervensystem und wirkt gegen Stress in der Schwangerschaft. Außerdem massiert die tiefe, rhythmische Atembewegung deine inneren Organe, wie z.B. den Darm, und kann sie dadurch sanft anregen. Sie hilft dir, wieder in Verbindung mit deiner Atmung und deinem Körper zu kommen.
Die volle Yogaatmung:
Bei der vollen Yogaatmung wir der Atem erst einzeln und nacheinander für mehrere Atemzüge in die unterschiedlichen Atemräume hinein gelenkt: erst in den Bauchraum, dann in den Brustraum und dann in die Lungenspitzen (Raum unter den Schlüsselbeinen). In einem nächsten Schritt werden alle 3 Atemräume fließend miteinander verbunden: mit der Einatmung füllt sich zunächst der Bauchraum (Bauch wölbt sich vor), dann füllt sich mit der gleichen Einatmung der Brustraum (der Brustkorb hebt und weitet sich, die Rippen spreizen sich voneinander weg) und zum Schluss füllen sich die Lungenspitzen (wodurch sich die Schlüsselbeine minimal anheben). Mit der Ausatmung leeren sich nacheinander Bauchraum, Brustraum und Lungenspitzen. Der Atem kommt und geht wie eine große Welle und erinnert dabei an das kommen und gehen der „Wehen-Welle“.
Tönen von offenen Vokalen
Das Tönen ist eine Technik, bei der du laut hörbar auf einen Ton ausatmest. Während der Schwangerschaft bieten sich weiche, tiefe und offene Vokale an. Dazu gehören z.B. A, O und U. Diese Übung kann bereits in der Schwangerschaft angenehm sein. So richtig sinnvoll und effektiv ist sie aber als Vorbereitung auf die Geburt und dann später im Kreissaal:
- Das Tönen schon während der Schwangerschaft als Vorbereitung auf die Geburt zu üben ist hilfreich, um Hemmungen abzubauen. Denn vielen Frauen fällt es schwer, hemmungslos und laut Töne von sich zu geben. Wenn du in einem geschützten Raum wie deinem Schwangeren Yogakurs erfahren hast, wie es ist vor anderen zu tönen und welche positiven Effekte diese Technik mit sich bringt, dann fällt es dir auch im Kreisssaal leichter, das Tönen einzusetzen und so die Geburt zu unterstützen.
- Wenn du beim Ausatmen tönst, dann atmest du automatisch länger und langsamer aus, wodurch das Nervensystem beruhigt wird. Das hilft dir sowohl in der Schwangerschaft als auch im Hinblick auf die Geburt.
- Durch das Tönen kannst du auf dein Beckenboden einwirken und das Öffnen und Loslassen unterstützen. Das liegt daran, dass dein Beckenboden und dein Mund-/Kieferbereich reflektorisch miteinander verbunden sind. Wenn dein Mund und Kiefer sich beim Tönen öffnen, lockerer werden und entspannen, dann tun das auch Becken, Beckenboden und Muttermund.
- Der Ton, den du erzeugst, wirkt zudem wie ein Anker oder Fokuspunkt, an dem du dich „festhalten“ und auf den du dich konzentrieren kannst.
Wie du siehst, ist die Atmung ein wichtiges Instrument, um dir zu helfen, deine Schwangerschaft angenehm zu gestalten und dich gleichzeitig auf die Geburt vorzubereiten. Auch während der Geburt spielt die Atmung eine wichtige Rolle. Ein Paar Aspekte habe ich in diesem Artikel bereits angesprochen. Noch mehr dazu liest du im nächsten Teil der Atem-Serie (hier).
Hast du Fragen zu dem Thema oder bist du schwanger und möchtest die Wirkung deiner Atmung und verschiedener Atemübungen erfahren? Dann melde dich gerne bei mir.
Ich freue mich von dir zu hören.
Viele liebe Grüße, Ilke
Bitte sei achtsam, wenn du Atemübungen praktizierst – ganz besonders, wenn du schwanger bist. Wenn dir schwindelig wird oder du dich unwohl fühlst, brich die Übung bitte sofort ab und atme in deinem gewohnten Atemrhythmus weiter.