Im Verlauf der Menschheitsgeschichte haben Milliarden von Frauen ihre Kinder ohne spezielle Vorbereitung oder gezielte Atemtechniken zur Welt gebracht. Denn eigentlich weiß unser Körper intuitiv, was er während der Geburt zu tun hat und wie er atmen muss, um ein Kind zu gebären. Allerdings sind wir heutzutage oft sehr verkopft und haben die Verbindung zu unserer Atmung und das Vertrauen in das intuitive Wissen und die innere Kraft unseres Körpers verloren. Dadurch fällt es uns schwer, uns auf den instinktiven und unvorhersagbaren Geburtsprozess einzulassen.
Mit Hilfe von Atemübungen kann es dir gelingen, diese Verbindung wieder herzustellen und aus dem Kopf zurück in deinen Körper zu kommen. Anfangs bedarf es vielleicht noch bewusster Konzentration während der Atemübungen und Hintergrundinformationen dazu, warum du diese Übungen überhaupt machen. Aber je öfter du die Techniken erfährst, desto mehr gehen die Abläufe und die Wirkungen in jede Zelle des Körpers über. Deshalb macht es eben Sinn, sich bereits in der Schwangerschaft mit Hilfe von Atemübungen mit dem eigenen Körper zu verbinden und das intuitive Wissen zu „reaktivieren“. Dann kann der Körper in einer Ausnahmesituation wie der Geburt einfacher darauf zurückgreifen und es für sich nutzen.
Meine Kundinnen bestätigen die Bedeutung der Atmung bei der Geburt ein ums andere Mal. Denn wenn ich sie nach der Geburt frage, welche Übungen aus dem Schwangerschafts-Yoga ihnen am meisten während der Geburt geholfen haben, dann sagen fast alle, dass es die Atemübungen waren. Dabei haben sie keine komplizierten, spektakulären Atemtechniken im Kreisssaal eingesetzt. Sie hatten einfach durch die Atemübungen, die wir in der Schwangerschaft als Vorbereitung auf die Geburt praktiziert haben, einen Zugang und ein Gefühl für ihre Atmung bekommen.
Deshalb möchte ich im dritten Teil der Atem-Serie den Fokus darauf legen, wie eine gute Verbindung zur Atmung dir hilft, dich auf die Geburt einlassen und wie du sie ein Stück weit unterstützen kannst. Wie wichtig eine gute Verbindung zur Atmung während der Geburt ist, habe ich auch selber erlebt. Meine beiden Geburtserfahrungen waren gerade im Hinblick auf die Atmung sehr unterschiedlich. Während der ersten Geburt bekam ich aufgrund des Geburtsverlaufs einen Tropf gelegt. Ab dem Zeitpunkt hatte ich quasi keinen bewussten Zugang mehr zu meiner Atmung und konnte so die positiven Wirkungen der Atmung unter der Geburt nicht für mich nutzen. Ganz anders lief es beim zweiten Mal, als mich die Atmung (insbesondere das Tönen) durch die Geburt „getragen“ hat.
In diesem Artikel möchte ich nun einige der Aspekte aus dem Artikel über Schwangerschaft und Geburtsvorbereitung (hier) aufgreifen, weiter ausführen und ergänzen:
- Um dein Kind zur Welt zu bringen, muss dein Beckenboden sich dehnen und öffnen können. Dabei kann dir die Atmung helfen. Insbesondere die tiefe, lange und langsame Ausatmung sowie das Tönen können dich unterstützen, die Energie „nach unten“ zu lenken, weicher zu werden und loszulassen.
- Mit Hilfe deiner Atmung kannst du dein Nervensystem beruhigen und Stress abbauen. Das ist unter der Geburt wichtig, weil Stresshormone wie Adrenalin die Wirkung des „Wehenhormons“ Oxytocin hemmen. Oxytocin spielt eine wichtige Rolle im Geburtsprozess, was sich schon daran zeigt, dass es aus dem altgriechischen übersetzt so viel bedeutet wie „schnelle Geburt“. Wenn du durch deine Atmung den Stress während der Geburt reduzieren kannst, dann kann sich das günstig auf die Hormone und den Verlauf der Geburt auswirken. Für die Stress- und Angstreduktion ist die tiefe Bauchatmung (hier) oder auch die verlängerte Ausatmung (siehe Anleitung und Video hier) geeignet.
- Eine Geburt ist ein körperlich intensiver Prozess, deine Muskeln arbeiten über lange Zeit sehr kraftvoll. Aber eine Geburt ist in der Regel keine Dauerbelastung, sondern die Wehen kommen und gehen in Wellen. In den Wehenpausen kann dir die Atmung helfen, wieder neue Kraft und Energie zu schöpfen und dich zu erholen, um bereit zu sein für die nächste „Welle“.
- Häufig hört man, dass die Wehen während der Geburt „veratmet“ werden sollen. Das klingt, als sollten die Wehen irgendwie abgemildert werden. Es geht aber nicht darum, die Wehen wegzudrücken oder zu ignorieren, sondern sich mit Hilfe der Atmung auf die Intensität der Wehe einzulassen und die Kraft der Wehe für die Geburt zu nutzen.
- Die Atmung kann ein wichtiger Anker oder Fokuspunkt sein, auf den du dich konzentrieren kannst in fordernden Momenten (mehr dazu in diesem Artikel).
Atemtechniken während der Geburt
Auch wenn der Körper eigentlich weiß, was zu tun ist, hilft es vielen Frauen trotzdem, wenn sie gewisse Techniken haben, die sie während der Geburt bewusst einsetzen können. Dabei sind insbesondere solche Techniken sinnvoll, die wenig aufwendig sind und die das Entspannen, Loslassen, Öffnen und Absenken der Energie unterstützen. Dazu gehören die verlängerte Ausatmung (4 Zählzeiten einatmen, 8 Zählzeiten ausatmen) oder auch das Tönen (mehr Infos und ein Übungsvideo in diesem Artikel). Wenn du also im Kreisssaal das Bedürfnis hast, irgendwie bewusst mit deiner Atmung zu arbeiten, um Stress und Ängste abzubauen und deinen Körper beim Öffnen zu unterstützen, dann kannst du ausprobieren, wie sich diese beiden Techniken für dich anfühlen.
Wichtig ist jedoch, dass du dich nicht zu sehr darauf verkopfst bestimmte Techniken einzusetzen, sondern auf die Signale deines Körpers hörst. Wenn es dir nicht gelingt, deine Atemzüge zu zählen oder das Tönen sich nicht richtig anfühlt, dann lass es bleiben und versteife dich nicht zu sehr darauf. Denn das würde unnötigen zusätzlichen Stress erzeugen. Ja, diese Techniken können hilfreich sein aber sie sind kein Muss, besonders, wenn sie im Moment der Geburt unangenehm sind. Wichtiger als in einer bestimmten Art und Weise zu atmen ist es, dass du kontinuierlich atmest, um dich und dein Kind mit Sauerstoff, Nährstoffen, Energie und Liebe zu versorgen.
Hast du bereits Erfahrungen im Hinblick auf die Atmung während der Geburt gemacht? Hat sie dir genauso geholfen, wie meinen Kundinnen? Ich freue mich über deinen Erfahrungsbericht.
Bis bald und viele Grüße, Ilke